Montag, 29. März 2010

Georg Nussbaumer ueber Klang, Musik und "Invisible Siegfrieds Marching Sunset Boulevard"




Georg Nussbaumer über Klang, Musik und „Invisible Siegfrieds Marching Sunset Boulevard“



Von Simone Kussatz



Der Wiener Komponist Georg Nussbaumer, der am 17. bis zum 20. April sein Werk „Invisible Siegfried’s Marching Sunset Boulevard“ zum Wagner-Ringfestival in Los Angeles aufführen wird, sprach mit BLOG über Musik, sein Verhältnis zu Wagner und seinen Opern und warum die Veranstaltung am 20. April - dem Geburtstag Hitlers – enden wird.




BLOG: Sie haben im Konzertfach Blockflöte studiert, sind aber Komponist und werden als Klangkünstler bezeichnet.



Georg Nussbaumer: Ich habe mich schon immer für andere Bereiche der Kunst interessiert als die instrumentale Musik. Noch zur Blütezeit der alten Musik bin ich von der Querflöte auf die Blockflöte umgestiegen. Es hat sich damals Musik aufgetan, die bis dahin keiner kannte - zumindest nicht als lebendige Musik. Bis in die frühen 80er Jahre wurde Musik aus Barock, Renaissance und Mittelalter sehr fad und leblos gespielt. Komponiert habe ich auch schon immer. Das hätte ich auch studiert, wenn ich für die Aufnahmeprüfung gut genug Klavier gespielt hätte. Aber das war bei weitem nicht so - zum Glück! Heute bin ich froh darüber, dass ich als Komponist nicht in den Genuss universitärer Deformation gekommen bin - und so andere Zugänge zur Musik gefunden habe.



BLOG: Und warum Klangkünstler?


Georg Nussbaumer: Soweit ich das mitbekomme, gibt es besonders in Deutschland Diskussionen darüber, was unter Klangkunst zu verstehen ist. Da mische ich mich lieber nicht ein, weil es mir wichtiger ist, das zu machen was ich machen will, als darüber nachzudenken, wie andere das nennen wollen. Mir ist die Bezeichnung Komponist lieber. Die Beschreiber von 5-linigem Notenpapier haben diese Berufsbezeichnung nicht für sich gepachtet und im Wort " komponieren" steckt viel, viel mehr, und Musik hat mit Klang nur am Rand zu tun. Ich sehe das als plastischen Vorgang, der sich eben auch, unter anderem, als Klang mitteilt.



BLOG: Wer ist auf die Idee gekommen, etwas zum Wagnerring zu machen?



Georg Nussbaumer: Die Villa Aurora ist eine der Institutionen, die sich am Ring Festival Los Angeles (www.ringfestivalla.com) beteiligen. Da ich 2004 Stipendiat an der Villa Aurora war, wurde ich von ihr eingeladen ein Werk beizusteuern, weil ich mich schon öfter und ausgedehnt mit Wagner beschäftigt habe. Zum Beispiel mit Parsifal in einer großen Operninstallation im OK Kulturhaus Linz, mit Tristan mit einem Projekt mit schwimmendem Publikum im Schwimmbad zur flieβenden Musik. Das war in Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Museum. Aber der Ring ist da natürlich die Königsklasse und vermutlich meine letzte Wagnerarbeit, weil die anderen Opern mich nicht anziehen.



BLOG: Und wie Sie sind sie auf diese spektakuläre Idee gekommen?



Georg Nussbaumer: Von Kunstwerken träumen kann jeder wie er will. Die Umsetzung von


Kunst hängt aber immer mit den Möglichkeiten zusammen, die man hat. Klar war, dass ich nicht eine Tonne Gold im Pazifik werde versenken können - obwohl das auch ein schöner Ansatz wäre. Deshalb hab ich nachgedacht, was man in Los Angeles umsetze könnte, das dem Format des Rings und auch der Größe der Stadt entspricht und zugleich mit den Produktionskosten auskommt, die wir auch stemmen können. Ein Klavierstück vor 50 Zuhörern wäre nicht adäquat. Mir bereitet es Vergnügen, mit einem Budget, das der Abendgage eines Starsängers entspricht, auf die Beine zu stellen, das mehr Leute besuchen werden, als ein Starsänger jemals Publikum hat.




BLOG: Würden Sie sich als Wagnerliebhaber bezeichnen?



Georg Nussbaumer: Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: nein, um Himmels willen! Ich habe mir noch nie Wagner in der Oper angesehen und werde das auch nicht


tun - weder eine konservative noch eine "avantgarde"-Inszenierung. Was die sogenannten Wagnerianer für sich da rausholen, kann ich nicht nachvollziehen. Zweitens: was heißt "Liebhaber"? Lieb haben kann man das nicht, das ist eine gefährliche Liebe, die einen sofort erschlägt. Aber man kann versuchen, sich nicht ganz erschlagen zu lassen, sondern in einer bestimmten Form von Masochismus bis zum Ende durchzuhalten. Eine Orgie,


eine Droge, die in jedem Takt und auch in jedem Wort – wenn man die heute lächerlich empfundene Sprache ausblenden kann und beim Inhalt bleibt - soviel an


Überaschung und "Aha"-Effekte bietet, dass man es wieder und wieder lesen und hören kann. Je tiefer man eindringt, umso interessanter wirds . Da sieht man dann, was das für ein raffinierter Architekt und wie gewagt er war. Er hat seinen Nachnamen ja auch geändert von Geier auf Wagner, weil er alles wagen wollte - aber ein Geier ist er doch geblieben. Wenn ich im Auto Wagner höre, dann werde ich immer langsamer und langsamer, bis mich die Lastwägen überholen. Ich mach das nicht mehr!



BLOG: Wagner ein Geier?



Georg Nussbaumer: Na der hat doch geplündert und ausgenutzt was und wer immer dafür in Frage kam. Den König Ludwig hat er sehr geschickt belauert und den Schnabel aufgehalten -
und und und. Wenn Juden Musiker oder Dirigenten waren, die er geschätzt hat oder brauchte, war er plötzlich kein Antisemit.

BLOG:
Wieviele Leute wünschen Sie sich für das Projekt teilnehmen sehen, damit es zum gewünschten Effekt kommt?



Georg Nussbaumer: Es kommt mir nicht auf die Anzahl der Personen an, sondern darauf, dass das Vorhaben durchgeführt wird. Ich wünsche mir auch keinen Effekt, weil ich keine Vorführung eines Stückes im Sinn habe, das dann bestaunt wird. Natürlich ist es schön, wenn viele Menschen mitmachen. Das zeigt, dass es Leute gibt, die ohne finanzielle,


religiös-missionarische, therapeutische oder ähnliche Ziele einer Einladung zu einem Moment der Konzentration folgen. Ich habe den Glauben an eine homöopathische Wirkungsweise. Ich glaube, dass etwas, das in der üblichen Wahrnehmung gar nicht da ist, auf einer ganz anderen Ebene wirkt. Es freut mich natürlich sehr, dass bereits schon Menschen aus Europa und von der Ostküste mitmachen wollen. Die Anzahl der Siegfrieds auf dem Sunset Boulevard müssen wir auch mit den Behörden abstimmen.




BLOG: Die Sängerin Christina Ascher wird Brunelda sein. Wird sie nur am Ende oder auch zwischendrin singen?



Georg Nussbaumer: Sie wird immer singen, aber nicht zu sehen sein - weil sie - wie Brunelda in Kafkas Amerika in Decken eingehüllt ist und transportiert wird. Sie ist die einzige die während des Marschierens über den Sunset Boulevard den ganzen Ring über Kopfhörer hört.


Meine Komposition schreibt ihr vor welche Töne sie mitsingt - das ist sozusagen "gesiebter" Wagner. Das heisst auch, dass sie manchmal für etliche Minuten ganz still ist, dann wieder mehr singt. Erst am Ende wird sie dann enthüllt und singt wie eine Freiheitsstatue mit Megaphon in die Brandung. Schön ist bei dieser Zusammenarbeit, dass Frau Ascher die Brunelda in Roman


Haubenstock Ramatis Skandaloper "Amerika" gesungen hat. Hier ist sie wieder als Brunelda dabei, aber ganz anders. Solche Verbindungen finde ich wunderschön. Das ist mir sehr wichtig, dass sich alles organisch zueinander findet.



BLOG: Werden die „Invisible Siegfrieds auf der Straβe oder auf den Bürgersteigen marschieren?



Georg Nussbaumer: Nur auf den Bürgersteigen und ohne Störung des Verkehrs.


Die Klärung der "permissions" hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert, schlieβlich führt unser Weg durch mehrere Stadtteile Los Angeles. Es geht nicht darum in die Abläufe der Stadt zu intervenieren, sondern darum in die Tagesabläufe der zufälligen Passanten ein kleines Erlebnis zu implantieren. Nichts soll gestört sein, nur bereichert werden! Keine Demonstration, nur eine


leichte Hinzufügung - wie ein paar Schneeflocken.




BLOG: Was werden die „Invisible Siegfrieds“ tun während andere die Klänge machen und etwas fallen lassen?



Georg Nussbaumer: Die Siegfrieds machen bei den Klängen mit. Sie sind sogar das Zentrum, der Kern! Sie werden kurz davor ihre Helme absetzen und als Klangobjekt benützen. Diese Gieβkannen-artigen Kopfbedeckungen kann man nicht nur als Tarnhelm, sondern als Horn benutzen. Was den Teil DROP! betrifft: Jeder Siegfried wird ein Objekt während des Marsches über den Sunset Boulevard finden, das er dann fallen lassen kann. Darauf bin ich gespannt. Das gibt eine Geschichte.



BLOG: Was werden die Siegfrieds sonst tragen?



Georg Nussbaumer: Was sie wollen. Ein Mensch ohne Gesicht - und das sind die Siegfrieds - sagt sehr viel über seine Kleidung, seinen Gang, seine Haltung aus. Darauf freue ich mich: ein Siegfried im Bikini, ein weiterer im Business- oder im Tarnanzug oder im Kaftan! Das wäre schön!




BLOG: Was passiert, wenn am Schluss alle etwas fallen lassen, aber keiner etwas hört?



Georg Nussbaumer: Es kommt nicht darauf an, dass man es hört, sondern dass es durchgeführt wird, weil das einen Einfluss auf die Welt haben wird. Jeder der mitmacht hat eine Vorstellung davon was fällt, fallen könnte, was noch passiert. Ist man der Einzige, gibts zehn gleichzeitige Fälle oder Tausend oder mehr? Das ist mir wichtiger als der Moment in


dem die Seismographen etwas aufzeichnen - obwohl, das wär schon was! In einer Gegend wie Los Angeles ist das was anderes als in Wien - etwas fallen zu lassen in dem Bewußtsein, dass das wirklich der "Tropfen auf dem heiβen Stein" sein könnte, der die Erde beben lässt, dass die kleine Energie einer fallenden Kartoffel ein Erdbeben auslöst. Nicht dass ich das wünschen würde, aber die Spannung interessiert mich.



BLOG: Warum endet der Marsch am 20. April dem Geburtstag Hitlers, der Wagner liebte. Ist das reiner Zufall?


Georg Nussbaumer: Wenn das unbemerkt und reiner Zufall wäre, dann wäre das erschütternd. Der April musste es aus organisatorischen Gründen sein. Wenn Mai oder September als Termin zur Debatte gestanden hätten, dann wäre das Thema nicht aufgetaucht. Im April wäre es möglich gewesen dieses Datum zu umgehen. Mein Gedanke allerdings war: wir stehlen uns um diese Frage nicht herum, wir "übergehen" den Geburtstag im wörtlichen Sinne (ein Wortspiel, das nur auf Deutsch so klar funktioniert). Also, wir übergehen diesen Geburtstag indem wir etwas


exzessiv friedfertiges, helles machen. Etwas Lebendiges! Wenn die Siegfrieds den Pazifik am 20sten April erreichen, dann ist das alles andere als eine Huldigung an den bekanntesten Wagnerverehrer aller Zeiten - es ist ein Zeichen, dass in der Interpretation und


Verarbeitung von Wagners Gesellschaftsmodell im Ring vieles zu finden ist, das wert ist, weiter verfolgt zu werden - aber dass es auch an der Zeit ist, diese Werke zu verlassen, sie nicht nur zu interpretieren und an ihrer in diesem Fall fatalen Wirkungsgeschichte zu messen, sondern dort


loszugehen wo sie enden - um mit Wagner zu sprechen: "Kinder,


schafft Neues!"




BLOG: Warum findet der Marsch in Los Angeles statt?



Georg Nussbaumer: Es gibt einige Verknüpfungen zwischen Wagner, dem Ring und Amerika: die Arbeit an Rheingold begann im gleichen Jahr wie der kalifornische Goldrausch. Wagner dachte daran nach Amerika auszuwandern, wenn ihm dort jemand sein Leben und seine Arbeit finanziert hätten. Kalifornien ist die "Endstation" der alten europäischen Kultur. In China würde das glaube ich nicht passen - aber hier sind „Siegfried“ oder die „Walküre“ ein Begriff – zwar belastet, aber ein Begriff. Auβerdem ist Los Angeles eine Stadt der Mythen, auch der sich dauernd verändernden Mythen. Der Ring ist die Oper der Mythen, sogar selbst schon ein Mythos. Und welche deutsche Stadt hätte eine Straße anzubieten auf der man 4 Tage lang gehen kann? Der Sunset Boulevard ist eine Straße von Wagnerscher Dimension.



BLOG: Müssen die Siegfrieds den ganzen Marsch gehen, oder lösen sie sich ab?



Georg Nussbaumer: Sie müssen den Marsch für je einen Tag gehen. Ich glaube dass jemand, der eimal zu gehen begonnen hat, das gerne weiter macht. Das wird eine Erfahrung sein! Am ersten Tag dauert es leider nur gute 2 Stunden, wie das Rheingold. Aber die nächsten Tage bedeuten immer gute 4 Stunden langsamen Gehens. Das ist eine schöne Sache. Man ist ganz für sich und doch als Rudel. Rundherum der Ablauf der Stadt und man geht ganz in sich gekehrt dahin, horcht, träumt...



BLOG: Am Ende wird Rotwein getrunken. Was hat das mit dem Etikett auf sich?



Georg Nussbaumer: Nicht nur die Siegfrieds sollen oder dürfen trinken. Das


ist weltweit gedacht. Das Etikett druckt man aus und klebt auf eine Flasche Rotwein. Man kann das alleine machen und sich eine Flasche reinkippen oder - und das ist klanglich sicher oppulenter - mit mehreren Leuten und Flaschen. Im Ring gibt‘s Umtrünke aller Art. Das ist als Hippieoper eine Drogenoper: Vergessen, lieben...für alles gibts den entsprechenden Trank. Also man klebt das Etikett auf seine Flasche und die einzige Technik die man beherrschen muss, ist, auf einem Flaschenhals Töne anzublasen. Auf dem Etikett steht wie viele Töne man spielt, wie viele Atemzüge man wartet, wann man wieder einen Schluck trinkt. Das Trinken hat 2 Effekte: zum einen wird der "Interpret" immer "illuminierter" zum anderen wird der Ton, der auf der Flasche produziert wird immer tiefer. Wenn das mehrere Leute gemeinsam machen hat das etwas Passacaglia-haftes, ein unerbittlicher Abstieg, eine Entspannung.



BLOG: Auf der Webseite sehen wir ein Bild. Was ist der Zusammenhang?


Georg Nussbaumer: Auf dem Bild sieht man eine große, ganz gemischte


Gruppe von Leuten - so wie es in der Wagneroper ist. Man sieht "Indianer" und "Weiβe", Menschen die verreisen, ankommen oder halt machen. Man weiβ nicht, ob sie abreisen müssen, wer welche Rolle hat. Man sieht Menschen verschiedener Ethnien, und man sieht,


dass es innerhalb dieser Gruppen (nicht nur zwischen ihnen) gewaltige Statusunterschiede gibt. Dieses Bild hat mich sehr an die Gesellschaft im Ring erinnert. Als ich begonnen habe diesen Menschen, die irgendwo in Kalifornien zu Beginn des 20sten Jahrhunderts fotografiert


wurden Rollen/Namen aus dem Ring zuzuordnen hat sich herausgestellt, dass es sich um eine Ringbesetzung handelt. Auf dem Bild sind genausoviel Menschen zu sehen, wie Rollen im Ring vorkommen. Ein Objet-trouvée, das sich bei genauerer Untersuchung als sehr stimmig erwiesen hat.



BLOG: Warum müssen die Siegfrieds unsichtbar sein?



Georg Nussbaumer: Der Tarnhelm ist ein Requisit im Ring, der von verschiedenen Personen/Rollen getragen wird. Er ermöglicht sowohl in anderer Form zu erscheinen


(Alberich und Fafner verwandelt er in Kröte und Drachen, Siegfried in Gunther) als auch - wie beim "beamen" – große Distanzen blitzartig zu überwinden. Natürlich sind meine Siegfrieds nicht wirklich unsichtbar, es geht um die Vorstellung, wie bei einem Kind, das die


Augen schlieβt und dann behauptet es sei weg.



BLOG: Und warum so viele Siegfrieds?



Georg Nussbaumer: Siegfried ist ein Archetyp. Es ist nicht eine Figur, ein


Einzelner, sondern ein Prinzip. Er steht für "etwas". Für jemanden, der die Oper gut kennt steht der für sehr viel, aber die allgemeine erste Assoziation ist wohl "deutsch, blond und muskulös", in Heldenpose und unverwundbar. Nietzsche schrieb ungefähr: Die Wagnerschen Helden haben die Nerven von übermorgen und die Muskeln von vorgestern. Also wie erträgt man das? Durch Multiplikation!




Das Gespräch führte Simone Kussatz



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